Liebesbrief vom Beckenboden an das Zwerchfell

Mein liebes Zwerchfell

Von Benita Cantieni

Entschuldige, dass ich diesen Liebesbrief an das Zwerchfell richte und nicht direkt an dich, mein lieber Mensch! Du schaffst die Grundlage für das gute Zusammenleben, du richtest dich auf und aus. Doch das Zwerchfell macht die Arbeit. Bei jedem Atemzug.

Dank deinem kolossalen Einsatz, liebstes Zwerchfell, kann ich meine Arbeit reibungslos machen. Du weißt, mein Job ist auch nicht ohne, wir sind beide 24/7 im Dienst. Lebenslänglich.

Ich erinnere mich noch so gut, wie es war, als unser Mensch noch ahnungslos in seinem Körper vegetierte. Er war ja eigentlich von Anfang ein Wrack, erlebte nie die Kindheit mit den Luftsprüngen und den Purzelbäumen. Er fing krumm an, unser Mensch, und dass er sich zur Halbzeit des Lebens aufmachte, um uns zu entdecken, kennenzulernen und in die Freiheit zu entlassen, das rechnen wir unserem Menschen hoch an, er ist eine tapfere Socke, und eine mutige noch dazu.

In den ersten Jahren hingst du einfach schlaff da oben herum, du Zwerchfell. Ich streckte mich nach der Decke und tat mein Bestes … Moment, das stimmt nicht ganz: Ich tat oft zu viel des Guten, um mein Menschlein zu schützen, und dann motzte die Blase. Menschlein unterwegs zur Toilette, zu eitel, um in die Hose zu machen. Auch das rechne ich dem Menschmädchen hoch an. Sie wurde in der Schule dafür ausgelacht, dass sie dauernd Pipi musste. Nur ausgelacht – das Mobbing stak gottseidank noch in den Kinderschuhen.

Später besuchte Mensch Sprechschulen, um seinen Sprachfehler loszuwerden. Da wurde es richtig schlimm. Die Lehrerin klopfte Jungmensch auf die Nieren und auf den Unterbauch und wies ihn an, «tiefer in den Bauch» zu atmen. Jungmensch tat, wie ihm geheissen. Die Lehrerin war nett und wollte bestimmt Gutes für den Jungmensch.

Für mich begannen die Leidensjahre: Du hast dich aus meiner damaligen Sicht nicht gewehrt! Im Gegenteil, du hast dich in den Bauch und in die Nieren atmen lassen. Mit Donnergewalt kamst du von oben über mich. Mit Leber und Magen und Darm und Gebärmutter, und Blase und noch ein paar kleinen Organen. 

Bei jedem Atemzug die volle Ladung. Was habe ich mich gewehrt! Ich rief die Hüftmuskeln zu Hilfe, dann auch noch die Gesässmuskeln. Menschlein merkte mit der Zeit auch, dass etwas nicht stimmte, dass Städtereisen nicht nur aus WCs bestehen konnten. Inzwischen zur Menschfrau gereift, tat sie alles, um mir zu helfen, recherchierte, las, fragte nach. Sie tat, was damals Mode war, Schließmuskeln zusammenziehen, Pobacken zusammenkneifen, Oberschenkel zusammenhalten. War das ein Elend! Kegel-Übungen, Lift durch die Vagina ziehen, Miktionstraining. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du da oben genauso leiden musstest, wie ich da unten!

Beim Lachen, Husten und Niesen klemmte Sie-Mensch mich so sehr ein, dass sie buchstäblich keinen Atem mehr bekam. Die Hüftgelenke begannen zu schmerzen. Menschfrau tat, was alle tun, die guten Willens sind: Noch mehr klemmen, noch mehr zusammenkneifen.

Und dann kam der Tag, an dem unser Mensch beschied: So geht es nicht weiter. Schluss mit Ratschlägen und Techniken und Anleitungen von außen. Erinnerst du dich auch an den Hilfeschrei? «Körper, sag mir, was du willst. Sag mir, wie ich dich behandeln soll!» 

Wir waren beide baff, denn so kurz vor dem 50. Geburtstag machen das Menschen selten: Alle Glaubenssätze über Bord werfen und uns um Hilfe bitten. Doch vor allem waren wir begeistert.

Ich meldete mich bei meinen Knochen und bat sie, sich unten schmaler zu machen, damit ich mich nach oben ausdehnen konnte, in den Körper hinein. Menschfrau reagierte sofort und spürte mir nach. Sie gab mir bald einen hübschen Namen, Organlifter, weil sie deutlich wahrnahm, dass ich bei gutem Gebrauch die Organe in den Körper heben konnte. Bald war Halt im Becken. Auch die Blase war nicht mehr so schwach. 

Doch da war noch so viel Luft nach oben – nie passte diese Formulierung besser. Ich weiss nicht mehr, ob ich um Hilfe schrie oder ob Menschfrau alleine darauf kam: Das Becken ist das Fundament, darauf wird aufgebaut. Sie baute die Wirbelsäule nach oben und traf auf dich. Ich war eine Entdeckung für sie, du warst eine Erleuchtung. 

Sie sass oder lag oder stand oder tanzte und hörte dir zu. Sie liess dich machen, und wie du machtest. Da, wo ich Enge und Halt brauche, brauchst du die Weite. Du spannst dich auf wie ein Himmel, eigentlich mein Himmel, denn in der Gebärmutter sind wir ja ziemlich lange verbunden wie siamesische Zwillinge. Mein Himmel. 

Du hast recht, Unsmensch lernt schnell. Ich vermute zwar, dass der Leidensdruck einfach so gross war, dass er-sie nicht mehr anders konnte.

Jetzt bist du mein Zwerchfell. Du spannst dich auf, dehnst dich auf, dehnst die Rippen zu den Seiten. Du bist stark und reaktionsschnell, du hältst den Husten, das Lachen und das Niesen. Apropos Lachen: Es ist so viel schöner geworden, seit es sich nicht mehr im Bauch und in der Hose verliert, es ist ein voluminöses Lachen aus «voller Brust», ein Lachen, das ich allen Frauen wünsche, du bestimmt auch, geliebtes Zwerchfell.

Fraumensch gab sich nicht so schnell zufrieden, sie ahnte, dass du noch viel mehr kannst. Sie begann mit dir zu spielen, entdeckte, wie du ihre Skoliose begradigen kannst, von innen. Sie lässt dich diagonal atmen, sie dreht und wendet dich, sie spielt Ball mit dir. 

Anfangs war ich ein bisschen eifersüchtig, weil ihr so viele neue Spiele miteinander entdeckten, während ich vor allem mit Halten und Stützen beschäftigt bin. Sie hat es wohl gespürt, denn als sie dich zum Meistermuskel gekürt hatte und du dich in deine Führungsfunktion eingelebt hattest, kam sie mit der Aufmerksamkeit zurück zu mir, und wir machten uns auf die Entdeckungsreise. Wir bügelten das Steißbein und machten aus dem steifen, eingeengten Kreuzbein einen Gelenkzauberer. Sie entdeckte, dass ich über zwei Becken herrsche, ein rechtes und ein linkes. Sie gab uns unsere Macht zurück, jeden ihrer Schritte auszuführen. Nun bin ich wieder Meister der Leichtigkeit – im Gehen, im Laufen, im Springen, im Tanzen. Ich wache über die Gesundheit der Gelenke – vom Fuß bis zu dir, Zwerchfell. 

Sie kommt auch regelmässig mit ihren Augen zu Besuch. Das ist jedes Mal ein Fest. 

Nur das Leben selbst kann so ein Paradox kreieren: Früher war das Aussen jung, die Haut war straff und faltenfrei, der Inhalt war alt. Jetzt ist die Menschfrau alt an äußeren Jahren, und der Inhalt ist jung wie nie.

Ich höre Fraumensch immer mal wieder den Satz sagen: «Was ich kann, kann jede und jeder.» Das ist zwar nicht ganz korrekt: Was ich kann, kann jeder Organheber, was du kannst, kann jedes Zwerchfell. Was wir miteinander unseren ganz eigenen Menschen an Wohlbefinden, Beweglichkeit und Kraft zur Verfügung stellen können, ist unvorstellbar, solange es nicht selbst erlebt wird.

Dieser Umstand ist es wahrscheinlich, der so viele Menschen im eigenen Körperelend schmoren lässt: Der Mensch kann sich nicht vorstellen, wie es sich lebt, wenn wir an seinem Leben beteiligt sind als die Superstars, die wir sind. Das ist schade.

Ich bin froh, dass unser Mensch es sich zur Aufgabe gemacht hat, andere Menschen an diese Leichtigkeit zu erinnern, sie ihnen zurückzugeben.

Auf weiterhin glückliches Zusammenleben, mein liebstes Zwerchfell,

dein Beckenboden alias Anusheber alias Organheber

 

Ein Basistraining für den Organheber

An die Wand stehen, wie im kleinen Training für das Zwerchfell beschrieben. Dieses Miniworkout baut auf dem Miniworkout für das Zwerchfell auf. Die Aufspannung des Körpers und des großen Atemmuskels ist wichtig, wenn der Beckenboden nachhaltig trainiert werden soll. 

Schulterblätter und Oberarmkugeln an der Wand ausrichten. Die Arme vollkommen entspannen. Finger, Hände, Unterarme, Oberarme von jeder Spannung befreit. 

Wolken unter den Füßen vorstellen. Den Körper von diesen Wolken weg aufrichten. Unterschenkel lang denken, Oberschenkel von den Unterschenkeln weg, Becken hoch denken, alle Bauch- und Rückenmuskeln nach oben dehnen. Der Brustkorb schiebt sich höher. 

«Ng ng ng» sprechen und den Kronenpunkt zur Decke dehnen.

Die Wolken unter den Fersen einsaugen, durch die Unterschenkel, durch die Oberschenkel, spüren, wie sich die Sitzbeinhöcker bewegen. Zehnmal.

Die Wolken unter den Fersen einsaugen, durch die Unterschenkel, durch die Oberschenkel, spüren, wie sich die Sitzbeinhöcker bewegen. Zehnmal.

Die Wolken unter den Fersen abwechselnd rechts, links einsaugen. Spüren, wie die Sitzbeinhöcker mitmachen. 
 
Wolke rechts, Sitzbeinhöcker zur Mitte ziehen, den Oberrand der Beckenschaufel weit öffnen. Wolke links, Sitzbeinhöcker zur Mitte ziehen, den Oberrand der Beckenschaufel weit öffnen. Jede Seite zehnmal.
 

Einen halben Schritt von der Wand weg. Die Handaußenseiten in die Leisten legen. Die Leisten nach hinten schieben. Die Knie beugen sich, der Torso senkt sich gerade nach vorne. Achtung, das Kinn bleibt im rechten Winkel zum Hals.

Wenn die Kniekehlen exakt über den Fersen stehen und die Füße schweben, eine Hand nach der anderen sanft auf den unteren Rücken legen. Die Ellbogen zeigen und ziehen zu den Seiten.

Die Sitzbeinhöcker nach hinten oben dehnen. Wenn der untere Rücken gedehnt und lang und schmerzfrei ist, stimmt die Position. 

Sitzbeinhöcker zusammenziehen, lösen, zusammenziehen, lösen. Der Körper bewegt sich beim Zusammenziehen leicht nach unten und hebt sich beim Lösen wieder leicht an, wie ein Klappdeckel im Wind.

Zwanzigmal beide Sitzbeinhöcker zusammenziehen, Zwanzigmal abwechselnd links, rechts.

Je leichter die Beine sind, je fluffiger die Wolke unter den Füßen, umso intensiver arbeitet der Beckenboden. Organheber für dich.

 

 

Aufrichten. Die Arme seitlich anwinkeln. Die Oberarme so entspannen, dass sie den Oberkörper berühren, von Ellbogen bis Achselhöhle. Die Achselhöhlen nach vorne oben dehnen.

Den rechten Sitzbeinhöcker wahrnehmen und an Ort halten, wenn sich jetzt der rechte Sitzbeinhöcker zur Mitte zieht und die rechte Kniekehle samt Bein federleicht vom Boden hebt.

Fuß zurück auf den Boden. Den linken Sitzbeinhöcker in der Wahrnehmung zum Damm ziehen, die linke Kniekehle ultraleicht anheben, wieder absetzen.

Mindestens 30-mal das Gehen an Ort üben. Hinein spüren, wie die Brustwirbelsäule die Information vom rechten Sitzbeinhöcker in die linke Achselhöhle schickt, vom linken Sitzbeinhöcker in die rechte Achselhöhle.

Dreht sich die Brustwirbelsäule automatisch zum sich anhebenden Bein: Du bist ein Naturtalent. Applaus. Setze dich genauso in Bewegung: aufgespannt vom Boden weg, mit schwebendem Zwerchfell und tragendem Beckenboden.

Möchtest du mehr erfahren über diese wunderbare Vernetzung von allen Körperstrukturen? Hier geht es zur Workshop-Serie «Wunderteam Zwerchfell, Beckenboden, Wirbelsäule»:

Workshop 1: Zwerchfell und Wirbelsäule

LEICHTIGKEIT ATMEN

 

Rückgrat. Aufrechte Haltung. Kraftvolles Zwerchfell.

Freiheit für die Organe. Herzmassage in der Tiefe.

Und viel Schnauf fürs Leben. Atmen ohne Druck.

 

Dieser Workshop zeigt dir, wie du deine volle Grösse

aus der Wirbelsäule holen und wie du den

Reichtum des Atems für die Gesundheit nutzen kannst.
Für Körper und Seele.

 

  

Workshop 2: Beckenboden und Wirbelsäule

DIE FUNDAMENTALE KRAFT IN DIR

 

Solider Halt im Becken. Bewegungsfreiheit in den Gelenken. Geschmeidiger Gang. Selbstvertrauen. Selbstbewusstsein. Halt für die Unterleibsorgane. Intensivere Orgasmen. Entspannung in der Aufspannung.

In diesem Workshop lernst du deinen Levator ani kennen, den einen und wahrhaften Beckenboden. Er hält die Organe hoch, die Hüftgelenke gesund. Er schützt die Organe im Unterleib, stimuliert die Nerven und kann deine sexuellen Erlebnisse intensiver machen.

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